Neulich wunderte ich mich über die geringen maximal erlaubten Tagessätze für Entwickler bei einer großen Firma.
Der Entwickler wird gemeinhin immer noch als der Maurer des modernen IT-Landschaft wahrgenommen – eine austauschbare Ressource wie der Sklave beim Pyramiedenbau. Ein Baustein, den man problemlos aus einem niedriglohn Land hinzustecken kann.
Man geht von der Annahme aus, dass eine (sehr) genaue Spezifikation eines Features – ähnlich wie ein Bauplan – ausreicht, um von einem beliebigen Entwickler eine funktiontierende Software zu erhalten.
Dieser Bauplan/Architekten/Haus Analogie begegnet man oft im Software Bereich und sie ist in meinen Augen an mehreren Stellen irreführend:
- Ein Haus ist oft ein deutlich weniger komplexes Produkt als eine Software
- Ein Haus ist eher ein statisches Produkt, eine Software ein sich stetig veränderndes Produkt
- Häuser werden meist nach gleichen Prinzipien und Ideen entwickelt – es gibt teils jahrhunderte alte und bewährte Muster. Bei der Softwareentwicklung befindet man sich immer noch in einer Forschungsphase.
- Das Endprodukt Haus ist leichter gegen Qualitätsansprüche zu testen als eine Software
- Änderungen bei einem Haus sind teuer und aufwändig, bei einer Software ist dies im besten Fall umgekehrt.
- …
Und genau wie die Analogie Haus=Software irreführend ist, ist die Vorstellung vom Maurer=Entwickler in meinen Augen schwierig:
Schon länger ist es geübte Praxis (best pratice), dem Entwickler auch Betriebsaufgaben zu übertragen (devops). Dieser Schulterschluss mit einem angrenzenden Gewerk hat zu einer deutlich verbesserten Qualität und gesteigerten Geschwindigkeit in der Softwareentwicklung geführt.
Und genauso leben gute Softwareentwickler heute die Praxis, die fachliche Domäne vollumfänglich zu verstehen und dazu nicht nur geeigneten Programmcode bereitzustellen, sondern auch passende Detaillösungsvorschläge und neue Ideen beitragen zu können. Auch hier führt der Schulterschluss zum angrenzenden Gewerk (hier die Fachseite oder der Kunde) zu einem deutlich besseren Produkt und einer erhöhten Geschwindigkeit.
Und noch eine dritte Dimension berührt den Softwareentwickler und zwar das Design bzw. das Frontend, die Usability. Und auch hier zeichnet sich der top- Entwickler von heute durch eine große Portion Fachwissen und „Überlappung“ zum anderen Gewerk aus. Hier sei das Stichwort Fullstack-Entwickler genannt.
Ein solcher Top-Entwickler, der sowohl die Bereiche Development (=Codieren), Ops (=Opererations, Betrieb), Analytics(=Fachlichkeit) und Design (=UI, Interface) abdecken kann, bzw. zumindest teilweise abdecken kann, ist enorm wertvoll für ein Projekt bzw. ein Produkt.
Er bringt Vorschläge und Methoden ein, die kein anderer Projektteilnehmer einbringen könnte. Und er hat im besten Fall das große Ganze im Blick – also nicht nur den aktuellen Zustand, sondern auch mögliche geplante Versionen oder Sonderfälle. (Nicht selten ist die IT der Know-How Träger im Unternehmen.)
Und jetzt bediene ich mich doch der Haus-Analogie: Er ist Maurer, Architekt, Prüfer, Innenausstatter und Bauingenieur in Personalunion.
Solche Top-Entwickler verdienen deutlich höhere Tagessätze und Ansehen, als sie hierzulande erreichen.
In Amerika ist dies übrigens erkannt worden. Dort verdienen Top-Entwickler > 300.000$ im Jahr – mehr als die meisten Manager.
Disclaimer: Ich bin nicht ganz ein solcher Top-Entwickler. Ich kenne aber welche. 😊
Dieses Überschreiten der eigenen Domäne, dieser Perspektivwechsel ist selbstredend auch bei anderen Gewerken extrem hilfreich. Der Verkäufer mit IT-Know-How, der Designer mit HTML/CSS Kenntnissen, der Ops mit Betriebswirtschaftlichen Kenntnissen – you name it.